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K

V e r t r a g
über die Vereinigung der L a n d g e m e i n d e
S c h i e r s t e i n  mit der  S t a d t g e m e i n d e
W i e s b a d e n.

   Zwischen der Stadtgemeinde Wiesbaden, vertreten durch ihren Magistrat, einerseits, und der Landgemeinde Schierstein, vertreten durch ihren Gemeindevorstand, andererseits wird folgender Vereinigungsvertrag vorbehaltlich der Zustimmung der Stadtverordnetenversammlung in Wiesbaden und der Gemeindevertretung in Schierstein abgeschlossen:

A. Bedingungen der Vereinigung, die als Teil des Gesetzes zu veröffentlichen sind.

I.

   Die beiden Gemeinden Wiesbaden und Schierstein vereinigen sich zu einer einzigen unter einer Verwaltung stehenden Stadtgemeinde „Wiesbaden“.

   Nach der Vereinigung erhält der bisherige Landgemeinde-Bezirk Schierstein die Bezeichnung „Wiesbaden-Schierstein“.

II.

   Die Zahl der Stadtverordneten in Wiesbaden wird um „vier“ im Wiesbadener Gemeindebezirk Schierstein wohnende Mitglieder erhöht. Für das erste Mal werden diese Mitglieder bis zum Eintritt der Rechtskraft dieses Vertrages von der Gemeindevertretung in Schierstein gewählt. Hierbei vollzieht sich die Wahl unter sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen der Nassauischen Landgemeindeordnung (§§ 46 - 54) über die Wahl der Schöffen.

   Die Bestimmung der Amtszeit der zu wählenden Stadtverordneten bleibt späterer ortsstatuarischer Regelung durch die erweiterte Stadtgemeinde Wiesbaden vorbehalten.

III.

   Die Ortsgesetze und Vorschriften der Stadtgemeinde Wiesbaden erhalten in dem bisherigen Schiersteiner Gemeindebezirk mit dem Tage der Vereinigung Rechtswirksamkeit.

   Die Ausdehnung der Wiesbadener Polizeiverordnungen hat unter Beachtung der für Polizeiverordnungen allgemein vorgeschriebenen Formen zu erfolgen.

IV.

   Die Stadtgemeinde Wiesbaden hat die Erwirkung der Konzession für den Bau und Betrieb einer Strassenbahn zur Verbindung von Wiesbaden mit Schierstein im Zuge der Wiesbaden – Schiersteiner Bezirksstrasse mit Nachdruck zu betreiben und den Bau und Betrieb dieser Bahn ohne Rücksicht auf einen zu erwartenden Reingewinn in Angriff zu nehmen.

   Zur Inangriffnahme des Bahnbaus ist die Stadt Wiesbaden indessen erst dann verpflichtet, wenn es bei geordneter Betriebswirtschaft wahrscheinlich wird, dass der Bahnbetrieb mit einem jährlichen Zuschuss in Höhe von nicht mehr als 2 % des Bahn-Anlage- und Betriebskapitals durchgeführt werden kann. Entstehen über den Beginn des Bahnbaus Meinungsverschiedenheiten, so unterwirft sich die Stadt Wiesbaden dem Entscheid des Regierungspräsidenten in Wiesbaden. Dieser Entscheid kann ohne weiteres von 4 Mitgliedern der Stadtverordnetenversammlung in Wiesbaden beantragt werden.

   Sofern nach dem 1. Januar 1923 die zu erbauende Strassenbahnlinie sich nicht in Betrieb befindet, hat Wiesbaden bis zum Eintritt des Betriebs jährlich 100 000.- ℳ zur Verbesserung und Förderung der dem Verkehr in und mit dem zukünftigen Wiesbaden - Schierstein dienenden Einrichtungen aufzuwenden.

V.

   Die Vereinigung der Gemeinden Wiesbaden und Schierstein erfolgt nach Eintritt der Rechtskraft des Eingemeindungsvertrages, spätestens am ersten Werktag des auf den Tag der Veröffentlichung des Eingemeindungsgesetzes folgenden Monats.

VI.

   Nach dem 1. April 1935 können die vorstehenden Bedingungen I bis IV durch Beschluss der Stadtverordnetenversammlung in Wiesbaden mit Genehmigung des Bezirksausschusses zu Wiesbaden abgeändert werden.

 

B. Anderweite Vorschriften

I.

   Das sämtliche Vermögen beider Gemeinden wird bei der kommunalen Vereinigung in Aktiven und Passiven zu einem einzigen Ganzen verschmolzen. Die erweiterte Stadtgemeinde Wiesbaden tritt somit in alle privat-rechtlichen Befugnisse und Verbindlichkeiten der Gemeinde Schierstein als deren Nachfolgerin ein.

   Die Einwohner der vereinigten Gemeinden haben gleiche Rechte und Pflichten.

II.

   In Schierstein soll eine örtliche Verwaltungsstelle belassen, bezw. eingerichtet werden, welche Standesamt, Ortsgericht, Steuererhebestelle, Meldeamt sowie eine Zweigstelle des städtischen Versicherungsamts umfasst.

   Das Gewerbe- und auch das Kaufmannsgericht von Wiesbaden werden auf Schierstein ausgedehnt.

   Die öffentliche Rechtsauskunft der Stadt Wiesbaden ist in Schierstein durch geeignete Einrichtungen sicherzustellen.

III.

   Den im bisherigen Gemeindebezirk Schierstein wohnenden Stadtverordneten wird eine den Schiersteiner Interessen entsprechende Beteiligung an den städtischen Verwaltungs-Deputationen und -Kommissionen eingeräumt.

   Außerdem wird eine besondere städtische Verwaltungs-Deputation für Angelegenheiten des bisherigen Schiersteiner Bezirks gebildet. Die Hälfte der Mitglieder dieser Deputation, darunter die 4 Schiersteiner Stadtverordneten, soll in Schierstein wohnen.

IV.

   Die zur Zeit der Vereinigung im Dienste der Gemeinde Schierstein stehenden Gemeindebeamten, Angestellten und Arbeiter werden von diesem Zeitpunkt ab unter Gleichstellung mit den Wiesbadener Gemeindebeamten, Angestellten und Arbeitern in den Dienst der Stadt Wiesbaden übernommen. Hieraus darf ihnen eine Verminderung ihres Diensteinkommens nicht erwachsen.

V.

   Sofern es die Allgemeininteressen zulassen, soll die Stadtgemeinde Wiesbaden bei Einführung ihrer Ortsgesetze auf den ländlichen Charakter Schiersteins weitgehende Rücksicht nehmen, insbesondere ihren ganzen Einfluss dahin gehend geltend machen, dass die landwirtschafttreibenden Einwohner von Schierstein nicht durch grossstädtische Polizeiverordnungen in ihrem Betrieb beeinträchtigt werden. Überhaupt sollen alle im Interesse der Landwirtschaft in Schierstein bestehende Einrichtungen in Schierstein erhalten bleiben, solange dafür ein Bedürfnis vorhanden ist.

   Die Mannviehhaltung soll in der seitherigen Weise bestehen bleiben.

VI.

   Privatschlachtungen unterliegen nicht dem Schlachthauszwang.

   Im übrigen können in Schierstein vorhandene Schlachthäuser für gewerbliche Schlachtungen soweit und solange benutzt werden, als deren Anlagen und Einrichtungen den Ordnungen und gesetzlichen Vorschriften entsprechen.

VII.

   Die Stadt Wiesbaden wird die für die Einrichtung einer Apotheke in Schierstein erforderlichen Massnahmen alsbald in die Wege leiten.

VIII.

   In Schierstein soll ein besonderer Friedhof in der seitherigen Gemarkung Schierstein bestehen bleiben. Die in Wiesbaden bestehenden Vorschriften über das Begräbniswesen sollen, soweit die Verhältnisse dies tunlich erscheinen lassen, auf Schierstein ausgedehnt werden. Die Bestimmungen über Preis und Dauer der Kaufgräber bleiben für die zur Zeit der Vereinigung in Schierstein wohnenden Einwohner bis zum 1. Januar 1930 wie bisher bestehen.

IX.

   Den für die Entwässerung des Gebiets der Ludwigstrasse in Schierstein geplanten Abwasserkanal wird die Stadt Wiesbaden innerhalb eines Jahres nach erfolgter Eingemeindung herstellen lassen.

   Außerdem hat Wiesbaden im gleichen Zeitraum zwei Bedürfnisanstalten in sauberer Ausführung an geeigneter Stelle in Wiesbaden-Schierstein zu errichten und zu unterhalten.

X.

   Die Stadtgemeinde Wiesbaden ist bis zum 1. April 1928 nicht verpflichtet, die Wiesbadener Gebührenordnung für die Benutzung der städtischen Wasserwerke auf den bisherigen Schiersteiner Gemeindebezirk auszudehnen.

XI.

   Die Stadtgemeinde Wiesbaden wird alsbald nach der Eingemeindung einen neuen Bebauungsplan ausarbeiten und diesen im Schiersteiner Gemeindebezirk bekannt geben.

XII.

   Für den Fall, dass die Versorgung des bisherigen Schiersteiner Gemeindebezirks mit elektrischer Arbeit von den Rheingau-Elektrizitäts-Werken A.-G. in Eltville auf die Stadtgemeinde Wiesbaden übergeht, darf diese bis zum 31. Dezember 1944 den zur Zeit der Vereinigung in Schierstein wohnenden Stromabnehmern (Kleinverbraucher) nur Tarifpreise berechnen, die nicht höher sind, als die jeweils von den Rheingau-Elektrizitäts-Werken A.G. in Eltville für die Kleinabnehmer in Nachbargemeinden festgesetzten Tarifpreise.

XIII.

   Die von der Stadt Wiesbaden eingeführten oder noch einzuführenden Gemeindesteuern werden innerhalb der bisherigen Gemarkung Schierstein in den nächsten 10 Jahren von den am Tage der Vereinigung vorhandenen Einwohnern insoweit nicht erhoben, als es sich um Steuern handelt, die in anderen Landgemeinden mit ähnlicher wirtschaftlicher Struktur und Vermögenslage nicht erhoben werden (z.B. Dienstbotensteuer, ungewöhnliche Grundstückssteuern und sonstige, auf Grossstädte zugeschnittene Abgaben).

XIV.

   Die Stadt Wiesbaden verpflichtet sich bezüglich der Eisenbahn und ihren Anlagen ihren ganzen Einfluss geltend zu machen, dass die Verkehrsverhältnisse Schiersteins gehoben werden und mit Rücksicht auf die Vereinigung auch eine stete Verbesserung in der Zugverbindung mit Wiesbaden hergestellt, namentlich aber auch die Befriedung des industriellen Bedarfs im Bahnverkehr in jeder Weise gesichert und möglichst verbessert wird. Das gleiche gilt hinsichtlich der Hafenanlage in Schierstein und der sonstigen Einrichtungen des Wasserwegs.

XV.

   Die Stadt Wiesbaden verpflichtet sich, die für den seitherigen Gemeindebezirk Schierstein bestehende freiwillige Feuerwehr im Besitze ihre Geräte zu lassen und die Wehr, wie seither von der Gemeinde Schierstein, zu unterstützen.

XVI.

   Die aus dem Verkauf der Nutzung des Schiersteiner Waldes eingehenden Beträge sollen möglichst zur Verbesserung der Strassen und Wege sowie sonstiger öffentlicher Anlagen in Schierstein verwendet werden.

   Schierstein soll an der öffentlichen Verschönerung des Ortsbildes im gleichen Verhältnis, in welchem das Steueraufkommen Schiersteins zu demjenigen Wiesbadens steht, nach Massgabe des hierfür von der Stadt Wiesbaden gemachten Gesamtaufwandes teilnehmen.

XVII.

   Die Gemeinde Schierstein verpflichtet sich, keine Beschlüsse zu fassen und Verpflichtungen zu übernehmen, die den Interessen der Stadtgemeinde Wiesbaden zuwiderlaufen und dieselbe belasten würden. Verträge dürfen nur mit Zustimmung der Stadt Wiesbaden abgeschlossen werden.

XVIII.

   Die Bestimmungen des Abschnitts B können vor dem 1. April 1935 nur mit Zustimmung der in Schierstein wohnenden Stadtverordneten durch Beschluss der Stadtverordnetenversammlung in Wiesbaden und mit Genehmigung des Bezirksausschusses in Wiesbaden abgeändert werden.

 

Wiesbaden, den 25. Mai 1921.

          Der Magistrat:

(L.S.)  gez. Travers,  Schulte

Schierstein, den 17. Mai 1921.

             Der Gemeindevorstand:

J.V.      gez.    Lang, Beigeordneter,
                       "        Hch. Thiele,
                       "        Wilh. Klee,
                       "        Gg. Schäfer,
                       "        Hesse.

Genehmigt in der Sitzung der Gemeindevertretung vom 30. Mai 1921,

Schierstein, den 30. Mai 1921.

Der Gemeindevorstand:

(L.S.) gez. Lang, Eitner, Schäfer, Klee, Hesse, Thiele.

 


 

Die Verhandlungen über eine Eingemeindung nach Wiesbaden fanden mit dem Eingemeindungsgesetz vom 28. Oktober 1926 ihren Abschluss.